von Peter Graßmann
Die ehemalige Herrschaft Schramberg stellt ein außergewöhnliches spätmittelalterlich-frühneuzeitliches Territorium dar, dessen sichtbare Überreste in Form beeindruckender Wehrbauten bis heute das Landschaftsbild prägen. Das Begleitbuch zur Sonderausstellung „Alte Funde in neuem Licht“ des dortigen Stadtmuseums kann zugleich als Leistungsschau von über 150 Jahren Burgenforschung wie auch als höchst willkommene – um nicht zu sagen: längst überfällige – Aktualisierung des Kenntnisstandes verstanden werden.
Die Sonderausstellung war dem ehrenamtlichen „Burgpionier“ Lothar Späth gewidmet, anlässlich dessen 80. Geburtstags sie 2021 gezeigt werden sollte, sich dann aber durch Corona um ein Jahr verzögerte. Entsprechend bilden die Würdigung bürgerschaftlichen Engagements durch Privatleute und Vereine einen inhaltlichen Schwerpunkt des Buches. Zunächst werden jedoch die historischen Grundlagen erläutert: Michael Buhlmann zeichnet die mittelalterlich-frühneuzeitliche Adelsgeschichte nach, die mit den Herren von Ramstein und Falkenstein beginnt und mit der Integration ins Königreich Württemberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts endet, während sich Moritz Seeburger der Entstehung der Burg Hohenschramberg widmet, auf der als größter und am besten erhaltener der Schramberger Burganlagen – neben dieser existieren noch die Burgen Ramstein, Schilteck, Berneck, Ober- und Unterfalkenstein – immer der Fokus liegt. Auf Grundlage bisher nicht berücksichtigten Archivmaterials widmet sich Oliver Heyn im folgenden Kapitel der Zerstörung des Schlosses im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekrieges 1688/89 durch die Franzosen und legt eine filmreife Geschichte vor, in der Freiherr Ferdinand Carl von Bissingen als tragische Figur erscheint. Ihm wurde zur Last gelegt, das Schloss den französischen Angreifern unter General Pierre de Lannion kampflos geopfert zu haben, obwohl ihm nach den Verfügungen des Westfälischen Friedens rechtlich die Hände gebunden waren und seine wiederholten Bitten um Unterstützung ungehört blieben. Anschließend wird noch der interessante Aspekt der Wasserversorgung auf den Burgen behandelt, der zum forschungsgeschichtlichen Teil des Buches überleitet. Wie sich die Schramberger Burgenforschung von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis zu den „Burgenpionieren“ der Nachkriegszeit entwickelte, wird von Carsten Kohlmann und Moritz Seeburger bündig dargestellt und von Bertram Jenisch in den wissenschaftshistorischen Kontext eingebettet. Die frühesten Initiativen im 19. Jahrhundert standen noch ganz im Zeichen von Spätromantik und Historismus, wie sich an der zeittypischen „Rekonstruktion“ (eigentlich dem Neubau) der Ruine Falkenstein zeigt. Insbesondere das Schloss Hohenschramberg, lange als Nippenburg bezeichnet, wurde schon früh überregional beachtet, etwa durch die führenden Burgenforscher Adam Friedrich Koch und später Otto Piper. Bemerkenswert – und bedauerlich – ist, dass der sogenannte „Kapellenturm“ bis um die Jahrhundertwende noch etwa 20 Meter hoch war und Reste von Wandmalereien aufwies, die inzwischen ganz zerstört sind. Eher als Kuriosum ist die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitete Spekulation des Stadtarchivars Wilhelm Haas einzuordnen, dass unter den Ruinen Geheimgänge verborgen lägen, wie sie vielfach in Schatzsagen auftauchen. Immerhin verhinderte er aber auch, dass dem Hohenschramberg durch eine „Rekonstruktion“ ein ähnliches Schicksal widerfuhr wie der Ruine Falkenstein.
Aus einer Gruppe von Gymnasiasten, die sich zunächst zur abenteuerlichen Schatzsuche trafen, entstand in den 50er-Jahren die Gemeinschaft der „Burgpioniere“, die sich mit viel Herzblut darum bemühte, die Anlagen zu erhalten und teilweise zu renovieren; deutlich wird aber auch, dass diese Arbeiten oft ohne fachliche Begleitung und mit mangelhafter Dokumentation geschahen, was dazu beitrug, dass „der heutige Denkmalwert Hohenschrambergs aus archäologischer Sicht nur noch als gering zu bewerten“ (S. 87) ist. Nachdem der eingangs erwähnte Lothar Späth die Gruppenleitung übernahm, wurde die Dokumentationsarbeit intensiviert und umfasste schließlich zahlreiche Fundbücher, Fotografien und Pläne, die heute von großer wissenschaftlicher Bedeutung – wenngleich aus fachlicher Sicht lückenhaft – sind. Als weitgehend überholt dürfen die von Meinrad Haas geschaffenen Modelle der Burgen Ramstein, Falkenstein, Hohenschramberg, Schilteck und Tierstein bewertet werden, die auf älteren Zeichnungen beruhen und zahlreiche Unstimmigkeiten aufweisen. Das trifft auch auf die im Gesamten detailgetreueren, neueren Modelle von Horst Heß zu. Als „bedeutsame Meilensteine der bisherigen Forschungsgeschichte und beredte Zeugnissen eines lokalen bürgerschaftlichen Engagements“ (S. 111) besitzen sie dennoch ihren Wert. Einen kurzen, interessanten Einblick in ihre ehrenamtliche (!) Arbeit als Restauratorin des Stadtmuseums Schramberg liefert Johanna Pröbstle, Tochter eines der Schlossbergpioniere. Ihre Diagnose, dass die Funde in einem besseren Zustand seien als in Anbetracht der mangelhaften Lagerungsbedingungen zu erwarten gewesen wäre, ist Balsam auf die Seele des Museumswissenschaftlers. Für ihr wertvolles Engagement kann ihr nicht genug gedankt werden. Sehr spannend ist der Aufsatz über Neuzugänge der archäologischen Sammlung in Schramberg. Neben eher zufälligen Funden im Rahmen von Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen gelangen auch immer wieder Objekte aus Privatbesitz in das Museum, etwa der Nachlass eines Raubgräbers von der Burg Ramstein oder Altfunde des Grafen Franz von Bissingen und Nippenburg. Bedenkenswert ist die Beobachtung, dass die Kontaktaufnahme zum Museum offenbar niedrigschwelliger ist als die zum eigentlich zuständigen Landesamt für Denkmalpflege – Museen stehen somit vor der schwierigen Aufgabe, einerseits als vertraulicher Ansprechpartner für die Abgabe von Objekten zu fungieren und im Zweifelsfall selbst gegenüber ehemaligen Raubgräbern nachsichtig zu sein, andererseits aber illegale Aktivitäten klar zu ächten. Ein Balanceakt!
Dass Geschichtsforschung kein Feld „alter weißer Männer“ ist, beweist die Schülerin Ines Petri mit ihrem 3D-Modell des „Neuen Hauses“ der Burg Hohenschramberg, das in Zusammenarbeit mit Fachwissenschaftlern entstand und zugleich eindrücklich die Möglichkeiten digitaler Rekonstruktionen aufzeigt, während David Kuhner mit einer sehr persönlichen Reflexion seiner Verbundenheit mit den Schramberger Burgen den Aufsatzteil abschließt. Der Katalog bildet schließlich das End- und Herzstück des Buches, denn hier werden nun die in der Sonderausstellung präsentierten Funde, gegliedert nach Themeneinheiten, beschrieben. Aus den instruktiven Erläuterungen, Zeichnungen und Fotos ergibt sich zugleich eine anschauliche Schilderung vom Leben, Arbeiten und Kämpfen auf einer spätmittelalterlichen Burg. Als herausragende Einzelobjekte können unter anderem ein ungewöhnliches keramisches Heiz- oder Räuchergefäß, Fragmente von Signalinstrumenten oder ein Riemenrollenspanner einer Armbrust hervorgehoben werden. Es wird deutlich, dass nicht nur die obertägig sichtbaren Überreste der Burgen, sondern auch die Funde von außerordentlichem Wert sind und zum Teil Stücke größter Seltenheit umfassen. Umso bedauerlicher, dass systematische Ausgrabungen wohl vorerst nicht geplant sind.
Insgesamt ist mit dem Ausstellungsband eine angemessene Würdigung der Schramberger Burgenforschung in ihrem wissenschaftsgeschichtlichen Kontext gelungen, die mit schöner Aufmachung, kurzweiligen Texten und einem knappen, aber sehr aufschlussreichen Katalogteil dem selbstformulierten Anspruch gerecht wird, die „alten Funde“ in einem „neuen Licht“ erstrahlen zu lassen. Ein Besuch im Schramberger Stadtmuseum, das auch eine Dauerausstellung zu den Burgen zeigt, lohnt sich ohnehin immer.
Carsten Kohlmann /Annette Hehr, (Hrsg.): Alte Funde in neuem Licht – Burgenarchäologie um Schramberg. Begleitbuch und Objektkatalog zur Sonderausstellung im Stadtmuseum Schramberg vom 15. Mai bis 30. Oktober 2022 Schriftenreihe des Stadtarchivs und Stadtmuseums Schramberg, Band 31,
Schramberg 2022 • 212 Seiten, • 29,90 €
Peter Graßmann
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