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von Wolfgang Heitner

Um die Situation der jüdischen Bevölkerung nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 zu präzisieren, könnte man dem Titel des Buches „Ausgrenzung Raub Vernichtung“ den Begriff „Entrechtung“ hinzufügen. Diese, in Form von erlassenen Verordnungen und Gesetzen der NS‑Regierung, machte aus dem „Raub“ ein scheinbar legales Unternehmen, das der Emigration oder der Tötung der Jüdinnen und Juden in Deutschland vorausging.

Das vorliegende Buch gibt, wie im Vorwort erwähnt, einen Einblick in die „Enteignung der jüdischen Bevölkerung und die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz“, begrenzt auf die Gebiete Württemberg und Hohenzollern. In einer Fülle von namentlich gekennzeichneten Beiträgen wird die Thematik in vielen Einzelaspekten dargestellt. Das umfangreiche Inhaltsverzeichnis, gegliedert in die Teile I – V, ermöglicht eine rasche Orientierung über die chronologische und thematische Gliederung des Inhalts. Äußerst hilfreich ist die Auflistung der „Gesetze und Verordnungen gegen die Juden“, unterteilt in die Zeiträume März 1933 bis Sommer 1935 und September 1935 bis August 1942. Ermöglicht sie doch einen genauen Überblick in die ständig zunehmende Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung vom politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben, die zu einer fortschreitenden Einengung der persönlichen Lebenswelt führte.

Verschiedene Formen der Ausgrenzung mit der Folge der Vernichtung der beruflichen Existenz in unterschiedlichen Bereichen sind Inhalt des Teiles I. Beispiele dafür sind Beiträge über „Die Entrechtung der jüdischen Rechtsanwälte“, die „Ausgrenzung jüdischer Ärzte in Württemberg und Hohenzollern“ oder die „Wirtschaftliche Ausplünderung von Textilgeschäften in Klein- und Mittelstädten“.

Im Teil II (er umfasst den Zeitraum von den „Nürnberger Gesetzen“ bis zum „Novemberpogrom“) wird die fortschreitende „Arisierung“ in verschiedenen Gewerbebereichen dokumentiert. Als Beispiele werden der erzwungene Verkauf der Majolika-Fabrik in Schramberg und der Adler-Brauerei in Heilbronn genannt. Gemeinsam ist in allen Fällen die vorausgehende massive Bedrohung der Geschäftsinhaber durch örtliche Nationalsozialisten. In diesem Teil wird nicht nur das Schicksal der betroffenen Opfer dargestellt, sondern auch der Blick auf die Täter, die Profiteure der Enteignungen, gerichtet. Dazu gehören vor allem die Finanzbehörden, jedoch auch korrupte Nationalsozialisten, die sich persönlich bereichert haben.

Der Chronologie folgend setzen sich auch im Teil III die Beiträge über Arisierungen und erzwungene Verkäufe fort. Profiteure sind nun nicht nur die oben genannten, sondern auch Stadtverwaltungen wie zum Beispiel Stuttgart oder Ludwigsburg, die Häuser und Grundstücke übernahmen und entweder im städtischen Besitz behielten oder an Parteigenossen weiterverkauften.

Ein weiteres Kapitel (Teil IV) informiert über die „Ausraubung“ und „Enteignung“ nach der Deportation der jüdischen Bevölkerung ab dem November 1941. Deportierte Juden und Jüdinnen verloren ihre Staatsangehörigkeit und damit auch ein Anrecht auf ihre Besitztümer. Ihre Wohnungen wurden von Finanzbeamten versiegelt, der Hausrat öffentlich versteigert, wobei die „besten Stücke“ (u.  a. Möbel, Bodenteppiche, Bilder und andere Kunstgegenstände, Geschirr und Lebensmittel) oftmals im Voraus von den örtlichen NS-Organisationen geraubt wurden (siehe den Beitrag von Heinz Högerle; Die Finanzbehörden als Schaltstellen der finalen Ausraubung bei den Deportationen der jüdischen Bevölkerung 1941/42, S. 439 – 454). Diese Vorgänge waren ein hemmungsloser Raubzug großen Ausmaßes, in dem die Finanzämter eine zentrale Rolle gespielt haben.

Der letzte Teil des Buches (Teil V) enthält Beiträge über die Bemühungen überlebender Opfer oder deren Erbberechtigten, für die geraubten Güter entschädigt zu werden. Allen Berichten ist gemeinsam, dass es ein meist mühevoller, zum Teil demütigender Weg durch die Instanzen war, wobei die Antragssteller in die Rolle der lästigen Bittsteller gedrängt wurden. Hatte der NS‑Staat sich ohne Skrupel sich dem Vermögen und dem Besitz der jüdischen Einwohnerschaft bemächtigt, so erwies sich der Nachfolgestaat als äußerst restriktiv in der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen.

Manche Verfahren zogen sich über Jahre hinweg, immer neue Dokumente sollten eingereicht werden (u. a. genaue Unterlagen zu den erlittenen „Schäden“ im wirtschaftlichen und privaten Bereich, exakte Aufstellungen des geraubten Hausrates), so dass manche Antragssteller verstarben, ohne dass sie persönlich materiell entschädigt worden sind.

Das vorliegende Werk besticht nicht nur durch die große Anzahl der informativen und detailreichen Beiträge zur weitgefächerten Thematik, sondern auch durch die Vielfalt des ergänzenden Bildmaterials. Der sorgfältig gestaltete „Anhang“ macht die Suche nach denen im Werk erwähnten Personen einfach, des Weiteren enthält er Kurzvorstellungen der Autorinnen und Autoren, ebenso eine umfangreiche Literaturliste und ein genaues Quellenverzeichnis.


Heinz Högerle / Peter Müller / Martin Ulmer (Hg.): (Hg.):Ausgrenzung Raub Vernichtung
. NS‑Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945.
Landeszentrale für politische Bildung • Stuttgart 2019.• 583 Seiten • 18 Euro

Wolfgang Heitner

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