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Joachim Schweitzer: Spuren und Erinnerungen an die vorderösterreichische Zeit der Stadt Bräunlingen (Schriftenreihe der Stadt Bräunlingen, Bd. 9), Bräunlingen 2024.

Mehr als 500 Jahre lang, von 1305 bis 1806, gehörte Bräunlingen zum Haus Habsburg-Österreich. Dieser Geschichte Bräunlingens in der österreichischen Zeit hat sich vom 3. September 2023 bis 19. Mai 2024 eine Ausstellung im Kelnhofmuseum angenommen, und ihr nimmt sich der neueste Band der Schriftenreihe der Stadt an. Dabei ist das Buch nicht eigentlich ein Katalog zur Ausstellung, es ist viel mehr der Ertrag von Überlegungen und Nachforschungen, die sein Autor Joachim Schweitzer, langjähriger Ratschreiber und Hauptamtsleiter der Stadt Bräunlingen und ebenso langjähriger zweiter Zunftmeister der Narrenzunft „Eintracht“, außerdem ehrenamtlicher Betreuer des städtischen Archivs, schon seit geraumer Zeit angestellt hat. 

Der Text, der von allen drei Tätigkeitsbereichen seines Autors profitiert, begibt sich auf Spurensuche in Bräunlingen und trägt all das zusammen, was aus der österreichischen Zeit stammt oder an sie erinnert, erklärt die historischen Zusammenhänge und macht sie verständlich: Kirchliche und profane Bauten, Inschriften, Wappen und Fahnen, Gebrauchsgegenstände und Bilder, Objekte der Rechtspflege, Urkunden und Aufzeichnungen sowie den ersten eingemessenen Gemarkungsplan im Stadtarchiv, Denkmäler, Kleindenkmäler und Brunnen, Traditionen, wie die für Bräunlingen wichtige und einflussreiche Episode von der Durchsetzung des österreichischen Banns gegen die fürstenbergischen Ansprüche unter Oberschultheiß Gumpp im Jahr 1685. Außerdem das Fortleben der österreichischen Zeit in Flur- und Straßennamen und Walddistrikten sowie in der Fasnet, nämlich in den Uniformen der städtischen Bürgerwehr und der Stadtmusik; wohingegen das Lied vom „Steirer“ oder „Tiroler Buam“, das zum ortstypischen fastnächtlichen Repertoire gehört, nach den Erkundungen des Autors offenkundig nichts mit der österreichischen Vergangenheit der Stadt zu tun hat. Bei einem so langen Abschnitt der Stadtgeschichte kommt da einiges zusammen: Es sind Dinge, denen man im Stadtbild täglich begegnet, wie Gebäude, die Ausstattung der Remigiuskirche oder die Ottlienkapelle über der Stadt. Es sind Dinge, die man erst suchen muss, wie die Grenzsteine, der Remigiusbildstock („Remigii“) im Wald oder die Bräunlinger Walddistrikte. Und es sind Dinge, die der Öffentlichkeit für gewöhnlich nicht zugänglich sind, wie die Archivalien im Stadtarchiv oder der hinreißend schöne Deckenstuck im „Schultheißenhaus“ Kirchstraße 15. Neben den eigentlichen „Spuren“ (Relikten) stehen viele „Erinnerungen“ an die österreichische Zeit, die erst später, namentlich in den Jahren um 1900, neu geschaffen wurden. In diese Zeit fallen der Quasi-Neu(auf)bau des „Mühlentors“, das offenkundig sehr einflussreiche Theaterstück „Anno 1499“ oder die Errichtung des „Leopoldsteins“ an der K 4993 nach Oberbränd. An manchen Stellen weist der Autor Zusammenhänge auf, die wohl kaum jemandem mehr bewusst sind, so bei der Vorstellung des Gumpp-Brunnens und seinen mehrfachen Umgestaltungen, die sich zu einer kleinen Brunnengeschichte der Stadt auswächst. Dass der alte Brunnentrog über eine Station bei der Schule offenbar ins Nichts verschwunden ist, weil von den Verantwortlichen niemand mehr über seine Herkunft Bescheid wusste, zeigt, wie wichtig es ist, solche Zusammenhänge zu dokumentieren.

Das neue Buch ist deshalb nicht nur eine Liebeserklärung des Autors an seine Stadt, sondern auch nichts weniger als eine kleine, gut sortierte Stadtgeschichte. Wer es zur Hand nimmt, wird Bräunlingen und viele Einzelheiten in der Stadt mit neuen Augen sehen, ganz egal ob es bei einem flüchtigen Gang durchs Städtle ist oder bei einem bewussten stadtgeschichtlichen Rundgang. Das gilt für Einheimische und Fremde, die Bräunlingen kennen lernen wollen, und vielleicht noch viel mehr für all diejenigen, die bisher der Meinung waren, Bräunlingen eigentlich ganz gut zu kennen. Sie alle werden die Stadt mit Hilfe dieses Buchs ganz neu entdecken. 

Clemens Joos

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