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von Detlev Herbner

Flamme der Freiheit (Herbner) (Hockenjos) Es stürmt, es schüttet, pechschwarze Wolkentürme rasen über den Himmel…“ mit diesen Worten zieht Jörg Bong die Leserinnen und Leser sofort in seine Revolutionsgeschichte von 1848. Die Stilmittel des Krimi-Bestseller-Autors, der Jörg Bong unter dem Pseudonym Jean-Luc Bannalec (Kommissar Dupin) auch ist, verfehlen dabei ihre Wirkung nicht. Die Leser sind so sofort gefangen vom „Schicksal“ des von der Pariser Februarrevolution 1848 vertriebenen sogenannten „Bürger“- Königs, dem Heinrich Heine zynisch hinterherrief: „Armer Ludwig Philipp! In so hohem Alter wieder zum Wanderstab greifen! Und in das nasskalte England…!“ Es sind diese Zitate der Zeitgenossen sowie deren zeitgenössische Publikationen, die den roten Faden in Jörg Bongs Buch ausmachen. Dazu gehört auch die redaktionelle Mitarbeit des freien Autors und Kunsthistorikers Simon Elson (Der Wolkensammler, Rowohlt 2020) die vom Autor auf der inneren Titelseite Erwähnung findet. Diese redaktionelle Transparenz setzt sich sowohl in den „Redaktionellen Anmerkungen“ (S. 509 f.) sowie besonders in den Zitatnachweisen (S. 511 – 554) fort. Damit ist aber auch verbunden, dass ein klassischer Apparat mit Endnoten, Literaturangaben und Register fehlt. Entschädigt werden die Leser durch einen, nach Kapiteln sortierten, genau dokumentierten Zitatenschatz, den es in seiner Ausführlichkeit bislang in keiner Publikation über die Revolution 1848/49 gibt. Dadurch werden für das Selbststudium völlig neue Wegweisungen eröffnet. Eine weitere Stärke des Buches ist die Vernetzung, die der Literaturwissenschaftler Bong zwischen den revolutionären Akteuren und literarischen Exponenten des „Jungen Deutschland“ seit dem Vormärz im Kapitel „Revolutionen vor der Revolution“ (S. 41 – 85) aufzeigt. Darin dokumentiert er auch die europäische Dimension der 48er Revolution, wenngleich weniger als der im Frühherbst 2023 erschiene Band „Frühling der Revolution“ –Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt – von Christopher Clark (1168 Seiten, 48 Euro, DVA München) oder auch „1848“ – Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution – von Alexandra Bleyer (336 Seiten, Sonderausgabe für die Landeszentralen für politische Bildung, bestellbar über die Jahresmitgliedschaft von 12 Euro Reclam Ditzingen b. Stuttgart 2022). Dafür legt Bong seinen Arbeitsschwerpunkt auf den Deutschen Bund sowie auf „Das deutsche Paris“ der Literaten und Oppositionellen (z. B. S. 41; 230 – 239, 412, 459). Die gesamteuropäische Dimension gerät dabei ein wenig kurz und eine Spur zu emphatisch, etwa wenn vom „europäische(n) Kampf…Für demokratische `Bundesrepubliken`“ (S. 19) gesprochen wird. Andererseits sind die Schwerpunktsetzungen jenseits der „Berliner Märzrevolution“ und deren Umfeld (S. 146 – 150 und 289 – 344) zum 175-jährigen Gedenken von 1848 endlich wieder eine umfangeiche Würdigung der badischen und Süd-West-Deutschen Rolle in den Revolutionsmonaten Februar bis April jenseits der großartigen regionalgeschichtlichen Arbeiten, die bereits 1998 erschienen sind: Wolfgang von Hippel: Revolution im deutschen Südwesten. Das Großherzogtum Baden 1848/49 (Kohlhammer-Verlag Stuttgart et al.) und Revolution im Südwesten – Stätten der Demokratiebewegung 1848/49 in Baden-Württemberg, Arbeitgemeinschaft hauptamtlicher Archivare im Städtetag Baden-Württemberg (Info-Verlag Karlsruhe); beide nur noch antiquarisch zu erhalten. Jörg Bong verwendet fast die Hälfte seiner über 500 Textseiten auf die badischen Ereignisse aus der Sicht seiner jeweiligen Beobachter. Dazu gesellen sich neben Wien Einblicke auf den Lola Montez Skandal in Bayern, die revolutionären Ereignisse in Württemberg, den „Drei Hessen“, Sachsen, Köln für das Rheinland, breiter Frankfurt, neben Börse und Stadtregierung, die Aktivitäten des Vorparlaments. Dabei hegt der Autor eindeutige Sympathie für das politische Lager seiner Zeitzeugen wie Fickler, Hecker, Herwegh, Struve, besonders aber seiner Zeitzeuginnen Emma Herwegh und Amalie Struve, Mathilde Anneke oder Louise Aston, was für einen Überblicksband zu 1848 neu ist.

Auch den Orten der Demokratiebewegung, Offenburg, Mannheim, Heidelberg bis hin zur Volksversammlung am 6. April in Donaueschingen (S. 427 – 429) räumt Bong breiten Raum ein. Wer freilich die Donaueschinger Ereignisse von Februar 1848 an genauer verfolgen möchte, ist nach wie vor auf Erwein Eltz „Modernisierung einer Standesherrschaft“ zu verweisen. Und auch in der Beschreibung des Heckerzugs wird der Ort „Niederöhringen“ nicht zu finden sein (S. 476), gemeint ist Riedböhringen. Hier macht sich das Fehlen von Kartenskizzen in „Die Flamme der Freiheit“ bemerkbar. Doch diese Kleinigkeiten sind dem Schlusslektorat geschuldet und machen das Buch nicht weniger lesenswert.

Jörg Bong bietet mit „Die Flamme der Freiheit“ einen anderen, persönlicheren, vielleicht auch parteilicheren Zugang zu den Revolutionsereignissen 1848/49. Gerade deshalb darf mit Spannung auf seine weiteren Bände „Tage der Entscheidung: Frankfurt – Wien – Berlin“ (2024) und „Freiheit oder Tod: Januar bis Juli 1849“ (Herbst 2025) gewartet werden. Denn: über aller Forschung zu 1848/49 steht die Erkenntnis, welch große Bedeutung diese Revolutionsereignisse für die Entwicklung der modernen Demokratie nicht nur in Deutschland hatten.

Jörg Bong: Die Flamme der Freiheit. Die deutsche Revolution 1848/49
Verlag Kiepenheuer & Witsch. Köln 2022 • 554 Seiten • 29 Euro

Detlef Herbner

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