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Karl-Heinz Braun, Barbara Stark (Hrsg.): Ignaz Heinrich von Wessenberg 1774-1860. „Etwas Rein-Gutes zu wirken …“ Sechs Vorträge anlässlich des 250. Geburtstages von Ignaz Heinrich von Wessenberg, Konstanz: Selbstverlag der Städtischen Wessenberg-Galerie, 2024

Der Konstanzer Generalvikar und Bistumsverweser Wessenberg war eine bedeutende Gestalt der südwestdeutschen Kirchengeschichte und kann auch heute für eine Kirche im Umbruch Vorbild sein. Daher gilt es die Erinnerung an ihn auch in der Breite wachzuhalten. Seine Lebensdaten geben dazu Anlass: So veranstaltete die Katholische Akademie Freiburg 2010 in seinem 150. Todesjahr eine Tagung und Publikation zu seinem Konzept der Bildung (vgl. Schriften der Baar 59, 2016, S. 179 f.), und 2024 präsentierte die Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz anlässlich seines 250. Geburtstags ihre umfangreiche Kunstsammlung aus seinem Nachlass. Die vorbereitenden Vorträge sind in diesem Bändchen zusammengeführt. 

Anders als 2010 folgen sie keiner leitenden Perspektive, sondern beleuchten verschiedene Aspekte. Den verbindenden Rahmen dafür setzt der Kirchenhistoriker Karl-Heinz Braun, indem er einleitend Wessenbergs Leben und Werk vor dem Hintergrund der Spätaufklärung und der Umbrüche um 1800 erläutert. Folgen die sechs Vorträge auch keinem leitenden Begriff, so ist doch eine Schwerpunktsetzung im Politischen zu erkennen. Wessenberg selbst äußerte, dass er „für politische Geschäfte wenig Geschmack und Neigung“ empfinde. Sein Amt brachte es jedoch mit sich, dass er politisch zu agieren hatte. So zeigt Franz Xaver Bischof, wie er in der Schweiz als geschickter Diplomat für die Belange seines Bistums und für kirchliche Reformen eintrat – und an der Feindschaft des päpstlichen Nuntius Testaferrata scheiterte. Der Verfasser macht deutlich, dass hinter den Sachfragen der Grundgegensatz zwischen bischöflicher Eigenverantwortung und päpstlichem Zentralismus verhandelt wurde. 

Ausdrücklich als Politiker wird Wessenberg von Jürgen Klöckler angesprochen. Nach einer Beschreibung der Verfassungsverhältnisse Badens im 19. Jahrhundert stellt er dessen Tätigkeit als Abgeordneter in der Ersten Kammer zwischen 1819 und 1833 dar. Wessenbergs Anliegen waren Verbesserungen für den katholischen Bevölkerungsteil und im Erziehungswesen; als einer von wenigen setzte er sich aber auch für liberale Reformen in der Wirtschaft wie Gewerbefreiheit und Freihandel ein. Diese bei einem Kirchenmann ungewöhnliche Seite wird von Alina Potempa vertieft. Sie kommt zu dem Schluss, dass sein Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft in letzter Instanz auf dem Glauben an eine von Gott vernünftig eingerichtete Welt beruhte.

Michael Bangert untersucht erstmals die zahlreichen dienstlichen und privaten Reisen Wessenbergs. Er deutet ihn als modernen Telemachos, der in reisender Welterfahrung das Wohl der Bevölkerung im Sinn hat. Eher für Fachleute von Interesse ist der Beitrag von Christine Roll über den Familiennachlass im Stadtarchiv Konstanz. An ausgewählten Beispielen zeigt sie, wie sich in den Briefen insbesondere jüngerer Verwandter an Ignaz Heinrich der Wandel adliger Existenz im 19. Jahrhundert ablesen lässt. Zu bedauern ist, dass der im Vortragsprogramm 2024 angekündigte Vortrag von Klaus Oettinger über die priesterlichen „Wessenbergianer“ nicht in diesen Sammelband gelangt ist. 

Michael Tocha

 

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