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von Harald Ketterer

Im Gegensatz zum Industriezentrum Mittlerer Neckar um Stuttgart bietet die Region Oberschwaben auch heute noch das Bild einer überwiegend agrarisch geprägten Kulturlandschaft. Es scheint, als ob Ackerbau und Viehzucht immer noch die Lebensgrundlage darstellten. Aber dieser Eindruck geht völlig an den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten vorbei. Die Bevölkerung verdient heute ihren Lebensunterhalt wie überall vorwiegend in der Industrie und Dienstleistung. Aber wie sah es in der vorindustriellen Zeit aus? In dem Band 7 der Oberschwaben- Forschungen zu Landschaft, Geschichte und Kultur die fassen die Herausgeber Sigrid Hirbodian und Edwin Weber verschiedene Beiträge zur oberschwäbischen Wirtschaftsgeschichte vom Dreißigjährigen Krieg bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zusammen. Diese resultieren aus der gleichlautenden Tagung der Gesellschaft Oberschwabens in der Schwäbischen Bauernschule Bad Waldsee vom 11. ‑ 13. Juli 2019.

Das umfangreiche Werk ist in die drei Kapitel „Umwelt, Energie, Strukturwandel“, „Gewerbe und Handel“ und „Die wirtschaftlichen Akteure“ eingeteilt. Im ersten Kapitel werden vor allem die engen wirtschaftlichen Beziehungen der Region Oberschwabens mit dem Bodenseeraum und der Schweiz dargelegt. Viele Firmen, die heute noch existieren, wie Escher Wyss in Ravensburg (heute Andritz Hydro) oder Maggi in Singen haben ihre Wurzeln in der Schweiz. Natürlich hatten auch das Klima und die besondere Lage zwischen Donau und Bodensee Einfluss auf die Landwirtschaft und das Gewerbe. Für den Warentransport, aber auch als Energielieferanten spielten die Flüsse Donau, Lech, Iller und auch Schussen eine wesentliche Rolle. Obwohl heute nahezu vergessen, hatte die Fischzucht früher erhebliche Bedeutung. In großen künstlich aufgestauten Seen wurden vor allem für die vielen Klöster, aber auch für den fleischlosen Freitag Fische gezüchtet. Mit der Säkularisation und dem zunehmenden Import von Hochseefischen ging der Absatz der Fische zurück und die Seen wurden wieder in Wiesen und Äcker umgewandelt. Auch der Wein gehörte zu den Grundnahrungsmitteln in den Klöstern, die sich die Versorgung sicherten, indem sie Weinberge am klimatisch begünstigten Bodensee kauften.

Dem Handel des Grundnahrungsmittels Getreide wird im Kapitel „Handel und Gewerbe“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Auch hier nahm die Ost-Schweiz eine besondere Stellung als wichtige Importregion für das Korn aus Oberschwaben ein. Die Fruchtmärkte wie in Überlingen lagen verkehrstechnisch günstig am Bodensee und profitierten von den niedrigen Transportkosten in die Schweiz. Sicherlich weniger bekannt dürfte die in einem weiteren Beitrag ausführlich dargelegte Handelsbeziehung Oberschwabens zur Stadt Lyon sein.

Das dritte Kapitel über „Die wirtschaftlichen Akteure“ ist den agierenden Institutionen und Personen gewidmet. Am Beispiel der Reichsabteil Gutenzell wird das Wirtschaften eines Frauenklosters detailliert dargelegt. Ein Kloster funktionierte zwar einerseits wie ein normaler Wirtschaftsbetrieb, andererseits brachte der religiöse Hintergrund doch Besonderheiten mit sich. So entfiel ein Großteil der Ausgaben auf soziale Dienste und Hilfsleistungen für arme Personen. Andererseits trugen die eingebrachten Erbgüter der Nonnen zu einem Großteil der Einnahmen bei. Ähnlich den Klöstern agierte der Adel in der Regel auch generationsübergreifend. Die beiden Beiträge zu den Fürsten von Hohenzollern und den Freiherrn von Stauffenberg ermöglichen einen Einblick in die wirtschaftliche Situation von zwei süddeutschen Familien aus dem Hoch- und Niederadel. Das Thema Landwirtschaft und Handwerk im dörflichen Umfeld wird in einem weiteren Text ausführlich behandelt. Zwei Beiträge zur barocken Sakralbautätigkeit und zum Einfluss der jüdischen Minderheit auf das Wirtschaftsgeschehen Oberschabens runden das Werk ab.

In dem Untertitel wird suggeriert, dass sich das Werk nur die Wirtschaft in Oberschwaben von 1600 bis 1850 thematisiert, tatsächlich aber greifen die Beiträge geografisch und zeitlich viel weiter aus. Der Leser erhält eine umfassende Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrhunderte an Hand einer bestimmten Region. Die Beispiele sind so gewählt, dass sie auch problemlos auf andere Gebiete übertragen werden können. Das gut geschriebene und hervorragend illustrierte Werk verdient eine große Leserschaft auch außerhalb Oberschwabens.

Sigrid Hirbodian / Edwin Ernst Weber(Hg.): Von der Krise des 17. Jahrhunderts bis zur frühen Industrialisierung. Wirtschaft in Oberschwaben 1600-1850. Oberschwaben- Forschungen zu Landschaft, Geschichte und Kultur (Band 7)
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2022 ● 580 Seiten ● 34 Euro

Harald Ketterer

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