von Karin Neubarth-Raub
Was haben unterschiedliche Autoren wie z. B. Wilhelm Hauff, Georg Herwegh und Ernst Jünger gemeinsam? Teile ihres Lebens und Schaffens haben einen Bezug zum deutschen Südwesten. Dieser Bezug bildet die Klammer, die 38 Beiträge über Schriftsteller des ausgehenden 18. bis 20. Jahrhunderts verbindet.
Die Kontaktzonen zwischen Literatur und Politik sollen im Raum ausgelotet werden, da Wissen erinnerungstechnisch gut an konkrete oder auch imaginäre Orte gebunden werden könne, so der Herausgeber in seinen einleitenden Bemerkungen.
So folgt der Leser etwa dem Journalisten und Dichter Schubart in sein Gefängnis auf dem Hohenasperg, er wird Zeuge der Ermordung August von Kotzebus in Mannheim oder zittert mit Annette von Droste-Hülshoff in Meersburg vor den 1848er Revolutionären.
Die Beiträge haben anekdotischen Charakter, ausgehend von einer besonderen Begebenheit werden Einblicke in Schicksal und Wirken der Künstler gegeben.
Drei Texte sind den revolutionären Bestrebungen 1848 gewidmet, spannend über die (enttäuschten) Hoffnungen von Georg und Emma Herwegh nach der Niederlage der „Deutschen demokratischen Legion“ in der Schlacht bei Dossenbach, Enttäuschung und Resignation auch bei Joseph Victor von Scheffel, der auf Demokratisierung durch legale parlamentarische Prozesse gehofft hatte. Annette von Droste-Hülshoff hingegen lehnte jegliches revolutionäre Gebaren wie auch nationale Bestrebungen ab und fürchtete wohl auch Übergriffe. Jedoch tut dies der Modernität vieler ihrer Werke und ihres Lebens als alleinstehender Künstlerin keinen Abbruch, darauf hätte der Beitrag aus Sicht der Rezensentin stärker hinweisen können.
Für das 20. Jahrhundert widmen sich mehrere Beiträge der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Kristina Mateescu, Mitherausgeberin des Buches, stellt Reinhold Schneider vor, der im April 1945 nur knapp den Freiburger Gestapo-Schergen entging, da er im Krankenhaus lag. Der seit 1938 in Freiburg lebende Dichter hatte mit oppositionellen Publikationen den Unmut des NS-Regimes auf sich gezogen und wurde mehrfach von der Gestapo aufgesucht. Trotz Publikationsverbot wurden Gedichtsammlungen illegal gedruckt und verbreitet. Kraft und Mut schöpfte Schneider aus seinem „tief verwurzelten katholischen Wertebewusstsein“.
Ganz anders der Franzose Louis-Ferdinand Céline, dessen 1937 erschienene und 1942 wieder aufgelegte Schrift „Bagatelles pour un massacre“ / „Die Judenverschwörung in Frankreich“ von den Nationalsozialisten begeistert aufgenommen wurde. Aus Angst vor der Résistance verließ er 1944 Frankreich und landete nach einigen Irrwegen in Sigmaringen, Sitz der französischen Exilregierung unter Pétain. Céline betätigte sich als Arzt, publizierte aber auch, etwa den Roman „Von einem Schloss zum andern“, in dem das Leiden und die Sorgen der Kollaborateure thematisiert werden.
Dass Literatur nicht nur zur Reflexion anregen, sondern auch unmittelbar politisch wirksam werden kann, zeigt das Beispiel von Rolf Hochhuth, dessen 1978 erschienener Roman „Eine Liebe in Deutschland“ zu einer öffentlichen Debatte über die Verstrickung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger in die Mordjustiz des NS-Regimes führte. Filbinger trat am 7. August 1978 von seinem Amt zurück.
Der Sammelband bietet viel mehr, als diese wenigen Beispiele zeigen können, und lädt zur weiteren Beschäftigung mit den vorgestellten Autoren ein.
Die Verfasserinnen und Verfasser sind ausgewiesene Fachleute; von der Doktorandin bis zum Emeritus vermitteln sie ihren Forschungsgegenstand kenntnisreich und engagiert. Für die weniger versierte Leserschaft wäre jeweils ein eingeschobener Infokasten mit einigen Eckdaten eine Orientierungshilfe.
Thomas Schmidt, Kristina Mateescu (Hrsg.): Von Hölderlin bis Jünger. Zur politischen Topographie der Literatur im deutschen Südwesten
Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, Band 51. W. Kohlhammer Verlag Stuttgart 2020. • 449 Seiten mit 75 Abbildungen • Preis: 6,50
Karin Neubarth-Raub
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