CASIMIR BUMILLER (Hg.): Geschichte der Stadt Villingen-Schwenningen, Band I.
Mittelalter und Vormoderne. Veröffentlichungen des Stadtarchivs und der Städtischen
Museen Villingen-Schwenningen (Band 44).
640 Seiten • 35 Euro • Verlag der Stadt Villingen-Schwenningen 2021
Fünf Jahre nach Erscheinen des zweiten Bandes der Stadtgeschichte über die Moderne seit dem frühen 19. Jahrhundert (siehe Rezension in Schriften der Baar 61, 2018, S. 181–184) hat die Stadt zum 50-jährigen Jubiläum der Fusion zur Doppelstadt den ersten, genauso voluminösen und imposanten Band vorgelegt, der die Spanne vom Frühmittelalter bis zum Zeitalter Napoleons umfasst.
Die beiden Bezirke der heutigen Doppelstadt sind in dem beschriebenen Zeitraum weitgehend getrennte Wege gegangen, zu dem Stadt-Dorf-Gegensatz kam ein politischer und konfessioneller, der die jeweiligen Entwicklungen lange divergieren ließ. Für die Darstellung dieser Doppelgeschichte wurde – abgesehen von der Karolingerzeit – sinnvollerweise ein Zwei-Säulen-Modell gewählt, wobei jedoch immer wieder auf den jeweils anderen Ort und die Allgemeingeschichte Bezug genommen wird.
Hier zeigt sich die ganze Stärke des Bandes. Anhand der Geschichte Villingens und Schwenningens bietet er dem Leser sehr viel Hintergrundwissen über das „Alte Europa“, also vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit. In der Geschichte der beiden Orte widerspiegelt sich etwa das Funktionieren feudaler Herrschaft als Leib- und Grundherrschaft, dann aber auch die zunehmenden Möglichkeiten städtischer und dörflicher innerer Autonomie, auf welche die jeweiligen Stadt-, Dorf- und Landesherren erhebliche, vertraglich abgesicherte Rücksichten zu nehmen hatten. Andererseits konnte die Obrigkeit meist ganze Länder, Ortschaften oder Anwesen verpfänden, als Unterlehen vergeben oder verkaufen – Erfahrungen, die die Villinger und Schwenninger ebenso machen mussten, wie sie in die Fehden und Kriege ihrer Herren hineingezogen wurden.
Schon alle die in dieses Buch eingeflossenen Themen aufzuzählen wäre an diesem Ort nicht zu leisten. Beispielhaft genannt seien Stadtund Dorfentwicklung, Herrschafts- und politische Entscheidungsprozesse, gesellschaftliche Entwicklungen und Strukturen, Demografie, Kirchen- und Klosterwesen, Ausbau des Straßennetzes und der auswärtige Handel, Wirtschaftsgeschichte, Schulwesen, Gerichtsbarkeit, kulturelle Entwicklungen, jüdisches Leben und eben vieles andere mehr. Wichtige epochale Umbrüche wie die Pest 1348, der Bauernkrieg 1525, die Konfessionsspaltung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sowie der 30-jährige Krieg in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten erhebliche Auswirkungen auf Villingen wie auf Schwenningen, die ausführlich erörtert werden.
Die Lektüre des Buches ist durchaus anspruchsvoll, erfordert aber kaum historische Vorkenntnisse, da wichtige Themen und Fachbegriffe – oft in gesonderten Infokästen – erläutert werden. Erklärende Grafiken verdeutlichen die komplizierten sukzessiven Villinger Ratsverfassungen, die seit dem 13. Jahrhundert manche modernen Elemente von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung bereits vorweggenommen haben. Karten über Herrschaftsgebiete oder alte Wegenetze liefern wertvolle Informationen. Es werden auch Quellentexte, zum Beispiel Urkunden, als Faksimile oder in
Abschrift wiedergegeben und interpretiert – so lernt man gleich etwas über die Arbeitsweise des Historikers. Verschiedene Objekte, seien es Münzen, Gemälde, alte Darstellungen, historische Gebäude, sind professionell in hoher Qualität dokumentiert und laden allein durch die optische Wirkung dazu ein, im Buch weiterzulesen oder herumzustöbern.
Kaum jemand wird den Band wie einen Roman einfach durchlesen, man wird ihn wohl eher aufschlagen, um darin bestimmte Themen, Ereignisse, Orte oder Personen zu suchen, für die man sich besonders interessiert. Für die Orientierung ist eine sehr differenzierte Gliederung auf drei Kapitelebenen ebenso hilfreich wie umfangreiche Register im Anhang, die dankenswerterweise jetzt auch den bereits 2017 erschienen Band II der Stadtgeschichte umfassen.
Der Anhang enthält auch Verzeichnisse zu historischen Währungen, Maßen und Gewichten sowie Listen von Schultheißen, Bürgermeistern und Vögten. Entsprechend dem wissenschaftlichen Anspruch finden
sich zahlreiche Anmerkungen und ein umfangreiches Literaturverzeichnis.
Wie zu erwarten, ist in dieser Darstellung für Fachleute zwar vieles nicht neu, es handelt sich aber um eine verdienstvolle Zusammenführung bisheriger Forschungen, aber auch kontroverser Narrative.
Dem Buch, das der Rezensent für Interessierte uneingeschränkt empfehlen möchte, sei eine breite Beachtung und Leserschaft gegönnt.
Michael Raub
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