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PETER GRAßMANN / DOROTHEE ADE / LISA RADEMACHER (Hg.

Die Besiedlung des Schwarzwalds. Begleitbuch zur Ausstellung vom 14. Mai bis 16. Oktober 2022

Franziskanermuseum Villingen-Schwenningen. Veröffentlichungen des Stadtarchivs
und der Städtischen Museen Villingen-Schwenningen.
142 Seiten • 8 Euro • Verlag der Stadt Villingen-Schwenningen 2022.

Der mehrdeutige Titel der Ausstellung und des Begleitbandes deutet es bereits an: Es geht um „Urwald“, aber auch um „KulturWald“ und damit Kultur. In diesem Sinne hat das Villinger Franziskanermuseum die frühe Erschließung des Schwarzwaldes von der Steinzeit bis ins Frühmittelalter zum Thema einer sehenswerten Ausstellung und ihres Begleitbandes gemacht.
Sieben Aufsätze informieren über die Geologie und Topographie des Schwarzwalds, über seine in der Geschichte genutzten Ressourcen, über die Geschichte der Erforschung seiner Kultivierung, über frühe
Wirtschafts- und Verkehrserschließung, über Anfänge seiner Besiedlung, über den Wandel von vorchristlichen zu christlichen Kulten und schließlich über die Anfänge der Klostergründungen im
Frühmittelalter.
Diese Themenvielfalt verweist schon auf die inhaltliche Verengung des Untertitels: Es geht um wesentlich mehr als um die Besiedlung, nämlich um die Geschichte der Kultivierung und Nutzung des Schwarzwalds von der Steinzeit bis zur germanischen Landnahme im Frühmittelalter.
Vor allem der Mangel an eindeutigen archäologischen und anderen Quellen führt dazu, dass die Frage nach der Besiedlung des Schwarzwalds sich nur ansatzweise beantworten lässt: Bis zur germanischen
Landnahme sind Siedlungen – von Städten gar nicht zu reden – nur in den Randlagen des Mittelgebirges nachweisbar. Die Ausstellung und das Buch präsentieren zwar verschiedene Funde seit der Steinzeit, die auf Begehung und den (zeitweiligen?) Aufenthalt der Menschen im gesamten Schwarzwald verweisen. Jedoch bleiben eindeutige Indikatoren für eine eigentliche und dauerhafte Besiedlung vage und zweifelhaft, worauf auch die Autoren immer wieder hinweisen. Manche plausible Hypothese könnte durchaus der Realität entsprechen, aber hier muss nach dem Stand der Forschung noch vieles offenbleiben.
Die frühe Geschichte des Schwarzwalds ist jedoch zum Glück mehr als die Geschichte seiner Besiedlung im engeren Sinne, und darüber erfährt der interessierte Leser ja einiges.
Wie der Kurator PETER GRAßMANN betont, wendet sich die Ausstellung vor allem gegen zwei bis heute erzählte Mythen: Zum einen der Mythos vom Schwarzwald als lange Zeit undurchdringlicher
und dem Menschen feindlicher Urwald, von dem man soweit wie möglich fernbleiben soll. In dem anderen Mythos erscheint der Schwarzwald ebenfalls als locus horribilis, wenn auch auf andere Art: Er
fungiert als Ort „keltischer“ oder sonst wie heidnischer obskurer Kulte und blutiger Opferrituale, wozu skurril wirkende, aber ganz natürliche Fels- und Geländeformationen herhalten mussten oder bis heute müssen. Beide Mythen werden widerlegt: Die angebliche No-go-Area ist seit der Steinzeit vom Menschen begangen, genutzt und verändert worden, wie Pollenanalysen und zahlreiche Bodenfunde ergeben haben. Seitdem ist der Schwarzwald auch in unterschiedlichem Maße Kulturwald. Sowohl die Existenz vieler ortsfremder Funde wie Rohmaterialien oder Fertigprodukte, die regelmäßig über
den Schwarzwald transportiert wurden, lässt auf Verkehrswege schließen, die von den Römern systematisch ausgebaut wurden und als Voraussetzung und Vorstufe der späteren Besiedlung angesehen werden können. Hier sind vor allem die bis heute viel befahrenen West-Ost-Verbindungen
über Thurner und Kinzigtal zu nennen. Es ist erstaunlich, wie viele Fundstücke zur frühen Erschließung und Kulturgeschichte des Schwarzwalds die Ausstellungsmacher zusammengetragen und dann in diesem Band anschaulich und ansprechend präsentiert haben. Zu den fachlich fundierten Texten, die auch für interessierte Laien gut lesbar sind und den Forschungsstand referieren, kommen professionelle Fotos von Fundstücken und Landschaften, die jeweils gut auf den Text bezogen werden. Karten und erläuternde Marginalien kommen als Ergänzungen hinzu sowie zahlreiche Anmerkungen und ein ausführliches Literaturverzeichnis.


Michael Raub

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