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DANIELA BLUM / MELANIE PRANGE / DIÖZESANMUSEUM ROTTENBURG

Participare! Schriften des Diözesanmuseums Rottenburg (Band 10).
224 Seiten • 28 Euro • Jan-Thorbecke-Verlag. Ostfildern 2020.

In der Zeit von Oktober 2020 bis Juli 2021 zeigte das Diözesanmuseum Rottenburg in einer Sonderausstellung archäologische Funde, die anlässlich von Sanierungsarbeiten der bischöflichen Grablege von Rottenburg in der Friedhofskirche Sülchen zutage traten. Während der Bautätigkeit konnten über 300 historische Gräber, mithin etwa 80 Gräber aus dem Frühmittelalter, davon 6 bis 8
Gräber aus der Zeit vor dem 7. Jahrhundert, die übrigen aus dem 7. Jahrhundert, geborgen werden. Wissenschaftliche Arbeiten zu den Neufunden sind vergeben, die wissenschaftliche Auswertung, gerade auch durch moderne Analyseverfahren, steht noch aus. Das vorliegende Buch ist als Begleitband mit Essays und einem Katalogteil zur Ausstellung erschienen.
Der Band wird vom Grußwort Dr. GERHARD FÜRST, Bischof der Diözese Rottenburg, und dem Vorwort von MELANIE PRANGE, Diözesankonservatorin und Leiterin des Diözesanmuseums Rottenburg, eröffnet. Mit einer Übersichtskarte der Fundorte beginnt der Aufsatzteil.
Einen eingehenden Einblick in das Ausstellungskonzept und somit auch in die begleitenden Essays bieten DANIELA BLUM und MELANIE PRANGE in ihrem Aufsatz:
„In unserer Erde – Einführung in die Ausstellung“ (S. 18–29). Neben der Präsentation der Funde der Friedhofskirche Sülchen wird die Untersuchung der kulturellen Identität, die Frage nach Ethnie, Pluralität und Mobilität der Menschen im Frühmittelalter in den Mittelpunkt gestellt. Die
Funde von Sülchen werden dabei in einen Dialog mit Funden zwischen Schwarzwald und Brenz gesetzt. Ein Fazit der Kuratorinnen ist der Hinweis, ethnische Deutung von Grabbeigaben könne alleine im Kontext ihrer Zeit und Umwelt erfolgen.
BEATE SCHMID setzt mit ihrem Beitrag „Von Sumelocenna nach Sülchen“ den zeitlichen Rahmen vom römischen Verwaltungsort zum Frühmittelalter. Sie fragt nach möglichen Kontinuitäten in der Namensgebung und Siedlung. Ausführlich erläutert Schmid die archäologischen Erkenntnisse zum Kirchenbau Sülchen. Anlässlich der Restaurierung konnte ein massiver Steinbau ausgemacht werden. In dem darin angelegten Fußboden zeigte sich eine Bestattung, die auf eine späteste Grablegung im Jahre 682 datiert wurde. Auf dem Gräberfeld in Sülchen wurde somit spätestens 682 eine massive Steinkirche errichtet. Weitere Grabungen außerhalb der bestehenden Kirche sind nicht möglich, da der Friedhof Sülchen auch aktuell noch genutzt wird.
GABRIELE GRAENERT widmet sich in ihrem Beitrag „Baumsarg und Totenhaus – archäologische Einblicke in die frühmittelalterliche Bestattungskultur“ der Struktur und Ausformung der Grabanlagen. Grabbeigaben finden sich zumeist an den Füßen und geben Hinweise auf soziale Kategorien wie Alter, Geschlecht, Rang sowie wirtschaftliche Situation und sind in ihrer Fülle ein Kennzeichen des süddeutschen Raumes. Graenert stellt die Funde von Sülchen in Beziehung zu Funden von Rottenburg, Dettingen, Esslingen und aus dem Rheinland. Sie stellt fest, dass man bei aller Fülle der Grabbeigaben wenig über die Rituale der Bestattung weiß, die Fülle der Beigaben jedoch auf eine Inszenierung der
Bestattung hinweist.

In „Die Toten weisen die Wege – das Obere Gäu im frühen Mittelalter“ lässt DOROTHEE ADE die Grabbeigaben miteinander in den Dialog treten. Die Funde aus Sülchen werden auch Funden aus Hüfingen und Villingendorf gegenübergestellt. Deren Qualität wird besprochen und eine ethnische Zuweisung hinterfragt, den erkennbaren Spuren der Migration nachgegangen.
Die Gräber in Sülchen weisen im Verhältnis wenig Bewaffnete, dafür viele Kinderbestattungen auf. Damit verdichten sich Anhaltspunkte, Sülchen als frühmittelalterlichen Verwaltungssitz wahrnehmen zu können. Die Zusammenschau liegt den Schluss nahe, dass fränkische Migranten den Bestattungsplatz in Sülchen angelegt haben.
Der Aufsatz „Franken und Alamannen? Ethnische Identität im frühen Mittelalter“ von KLAUS GEORG KOKKOTIDIS greift die aktuelle Diskussion in der Archäologie zur Fragestellung von Ethnie und dem Tatsachengehalt der spätantiken und frühmittelalterlichen Schriftquellen auf. Für das Frühmittelalter wird die Abkehr vom Begriff des „Volkes“ hin zu „Gentes“ erläutert. Als Gentes gelten geführte Personenverbände mit einer gemeinsam geglaubten Identität und gemeinsamer Überlieferung. Zur Bewertung von Funden werden inzwischen auch objektive Messmethoden wie die Isotopenanalyse und das bioarchäologische Analyseverfahren herangezogen. Kokkotidis schließt seinen Beitrag mit dem Fazit, dass die Ergebnisse der objektiven Analyseverfahren für Sülchen noch ausstehen.
Doch können diese Verfahren keine Auskunft darüber geben, wie und als was sich die später dort Bestatteten fühlten.
Der Essay-Teil schließt mit MARTINA TERP-SCHUNTER und ihrem Aufsatz „An-
tik, germanisch, christlich? Glaubenswelten im 6. und 7. Jahrhundert“. Sie macht sowohl konkurrierende als auch parallel gelebte Glaubenswelten aus. Es werden Kreuzzeichen, Gesichtsdarstellungen, eingeritzte Runen, Goldblattkreuze, Sieghelferdarstellungen, Reliquiare und Kirchenbauten umfassend diskutiert. Funde aus Schwenningen und Seitingen-Oberflacht werden besprochen. Die Frage, ob etwas lediglich als Schmuck oder als tatsächliches christliches Glaubenssymbol getragen oder beigegeben wurde, ist oft nicht eindeutig zu beantworten. Symbolcharakter und Wertschätzung drücken sich jedoch allemal in der Beigabe aus.
Im knapp hundertseitigen Katalogteil werden die Ausstellungsobjekte als Farbbilder gezeigt, ausführlich beschrieben und gedeutet. Ein Glossar und Verzeichnisse ergänzen den Band.
Der Begleitband ist großzügig ausgestattet und steht selbständig für sich. Er setzt Akzente und regt damit zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Welt des Frühmittelalters an.


Evelyn Mrohs-Ketterer

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